«Im Schreiben eingerichtet. Thomas Mann und sein Arbeitszimmer» an der ETH Zürich
Das Thomas-Mann-Archiv der ETH-Bibliothek verwaltet und pflegt seit 1956 den literarischen Nachlass des Schriftstellers. Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit ist die Vermittlung des Nachlasses an die Öffentlichkeit. Vor einem Jahr wurde an der ETH Zürich die neue Dauerausstellung «Im Schreiben eingerichtet. Thomas Mann und sein Arbeitszimmer» eröffnet. Sie präsentiert das Leben und die Arbeit des Autors in einem einzelnen Ausstellungsraum. Es gelingt ein kompakter Einblick mit spannenden kurativen Ansätzen.
Die Ausstellung «Im Schreiben eingerichtet. Thomas Mann und sein Arbeitszimmer» befindet sich im Hauptgebäude der ETH Zürich. Wenige Türen weiter werden Vorlesungen und Seminare abgehalten. Für junge Menschen aus Zürich mit akademischem Hintergrund ist die Ausstellung also niederschwellig zu erreichen. Auch die Beschränkung auf lediglich einen Ausstellungsraum könnte an das Bedürfnis jüngerer Generationen, Informationen in kurzer Zeit und sehr anschaulich präsentiert zu bekommen, angepasst sein. Für andere Zielgruppen kann eine Ausstellung ausserhalb eines Museums mit unmittelbarem Einblick in das rege Treiben einer Universität gewiss erfrischend sein.
Einblick in das Leben und Schreiben von Thomas Mann
Wie schon der Titel verrät, steht das Arbeitszimmer von Thomas Mann im Zentrum der Ausstellung. Auch die räumliche Gestaltung rückt den Arbeitsbereich in den Mittelpunkt: Der Schreibtisch und weitere persönliche Gegenstände des Autors befinden sich geschützt in einem separaten Kubus. Dadurch wird ein Raum im Raum kreiert, in den die Besuchenden von verschiedenen Seiten Einblick erhalten. Die Kurator:innen lösen damit sehr geschickt das Problem, dass die wichtigen Bestandteile des Nachlasses möglichst vor äusseren Einflüssen geschützt ausgestellt werden müssen, damit sie keinen Schaden nehmen. Häufig entsteht durch diese Notwendigkeit eine Distanz zu den Ausstellungsobjekten. Durch das hier gewählte Motiv des Einblicks in den Kubus gelingt es jedoch, dass die Besucher:innen eine Nähe zu den Artefakten und der Thematik empfinden können.
Dass das Leben und Schaffen von Thomas Mann gewiss «von verschiedenen Seiten aus» betrachtet werden kann, wird in der Ausstellung räumlich umgesetzt und ermöglicht eine abwechslungsreiche Annäherung an das Thema. Die vier Wände des Kubus bieten jeweils unterschiedliche Zugänge zum Leben des Schriftstellers und zu seiner Arbeitswelt. Die erste Wand besteht vor allem aus Glas. Das Arbeitszimmer mit den geschützten Ausstellungsstücken kann von hier aus am besten betrachtet werden und der Nachlass selbst wird in den Mittelpunkt gerückt.
Die übrigen drei Wände bieten nur beschränkte Einblicke in den Kubus. In ihnen werden weitere Objekte des Nachlasses präsentiert. So beschreibt die zweite Wand mit dem Titel «Ortswechsel» den Lebensweg von Thomas Mann, der von vielen Umzügen geprägt war, vor allem von seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland erst in die Schweiz und dann nach Amerika. Sein Schreibtisch begleitete ihn auf diesem Lebensweg stets als kontinuierlichen Faktor. Sein Lebensende verbrachte Mann dann wieder in der Schweiz. Deswegen befindet sich der Nachlass nun auch in Zürich und wird hier ausgestellt.
Die dritte Station «Zeitrhythmen» gibt einen Einblick in den streng strukturierten und getakteten Alltag von Thomas Mann, der natürlich nicht nur von seiner Tätigkeit als Schriftsteller geprägt war. Es wird aufgezeigt, dass Mann lediglich vormittags seinen schriftstellerischen Tätigkeiten nachging. Die restliche Zeit seines Alltags verbrachte er auf langen Spaziergängen, mit seiner Familie und Freund:innen und er verfasste diverse Briefe. Ausserdem war er oft auf Reisen und hatte Schlafprobleme. Zuletzt werden die «Produktionsprozesse» und einige Werke von Thomas Mann im Einzelnen vorgestellt. Dabei steht vor allem der Entstehungsprozess des Romans Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull im Vordergrund. Die Recherchearbeit in Zeitungen, handschriftliche Notizen und unterschiedliche Auflagen des fertigen Romans werden präsentiert.
Nicht nur durch die besondere räumliche Gestaltung werden verschiedene Zugänge zum Ausstellungsthema gewährt, auch die Ausstellungsobjekte selbst sind sehr divers. Zu sehen sind unter anderem viele originale Schriftstücke wie beispielsweise Briefe von Thomas Mann oder Manuskripte und Notizen zu seinen Werken. Fotografien veranschaulichen sein Leben, Gebrauchsgegenstände wie ein Klemmbrett, ein Füllfederhalter, ein Feuerzeug oder Spazierstöcke geben weitere Einblicke in den Alltag des Autors.
Die Besucher:innen können die Ausstellung überdies nicht nur durch optische Eindrücke erleben, sondern ergänzend eine Radiosendung aus dem Jahr 1954 über die Lieblingsmusik von Thomas Mann anhören. Die Ausstellung beinhaltet auch vereinzelt interaktive Elemente. So kann etwa an der Wand zur Thematik der Produktionsprozesse, wo es um die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull geht, das Fälschen einer Unterschrift geübt werden, wie Thomas Mann es in einem seiner Skripte beschreibt. Jedes Ausstellungsobjekt wird mit einem informativen Begleittext präsentiert. Diese Ausführungen geben kurz Auskunft und kontextualisieren. Sie sind leicht verständlich geschrieben und garantieren einen roten Faden durch die Ausstellung.
Die Ausstellung endet mit einem Film zur Entstehung und Gestaltung des Raums selbst. Besucher:innen können hier das Leitbild und die Intentionen der Kurator:innen nachvollziehen und erlangen Einblicke in die Planung und den Aufbau der Ausstellung. Es werden auch die grundsätzlichen Fragen aufgegriffen, welcher Umgang mit dem Nachlass geboten ist und wie die Öffentlichkeit gewinnbringend einbezogen werden kann.
Highlights und Grenzen der Ausstellung
Die Kuratorin Nicola Lepp versucht, die Besucher:innen auf eine vielfältige Entdeckungsreise mitzunehmen, bei der weniger die Werke von Thomas Mann und ihr Inhalt erkundet werden, sondern vielmehr sein Leben und seine Persönlichkeit im Zentrum stehen. Den Ausgangspunkt dieser Reise bildet der Schreibtisch – um ihn herum ist das Arbeitszimmer aufgebaut und er dient als Grundlage für die Beschreibung des Lebensweges und Alltags des Schriftstellers. Das Leben von Thomas Mann wird so veranschaulicht und greifbar gemacht. Die Ausstellung bewegt sich eng den Bestandteilen des Nachlasses entlang und versucht diese miteinander zu verbinden und in einen Kontext zu setzen. Sie verliert sich also nicht in abstrakten Themen, sondern schafft es, die Praktiken und Routinen der Arbeit von Thomas Mann zu vermitteln.
Der Umstand, dass die Ausstellungsfläche auf nur einen Raum beschränkt ist, kreiert eine Atmosphäre der Intimität. Der Raum (nicht der Kubus) ist zwar mit mehreren Fenstern ausgestattet, jedoch sind die Rollläden heruntergelassen und mehrere Spotlights sorgen für warmes Licht. Der Kubus ist in einem warmen Dunkelrot gestrichen, der Boden mit altem Parkett ausgelegt. Dadurch entsteht ein heimeliges Wohlgefühl, das von den Büchern, die an den Innen- und Aussenwänden des Kubus oftmals in Regalen stehen, unterstützt wird. Der Abstand zwischen den Wänden des Ausstellungsraums und den Wänden des Kubus ist jedoch eher gering, was dazu führt, dass an Tagen mit gutem Besuch der Platz rund um die Exponate beschränkt ist. Aus diesem Grund ist die Ausstellung für Personen mit Kinderwagen und Rollstühlen nicht gut zugänglich. Der kleine Raum, der den Nachlass gut in Szene setzt, bringt also diesbezüglich auch Nachteile mit sich.
«Im Schreiben eingerichtet» präsentiert das Thema insgesamt sehr kompakt. Um alle Ausstellungsstücke zu erfassen, benötigen Besucher:innen lediglich ungefähr eine dreiviertel Stunde. Für geübte Ausstellungsgänger:innen sind die Informationen somit gut erfassbar und der Umfang überschaubar. Am Eingang liegt ausserdem kostenlos ein Heft auf, das alle Ausstellungstexte in einfacher Sprache wiedergibt. Damit wird sichergestellt, dass der Nachlass auch für Personen mit geringen Deutschkenntnissen oder ohne akademischen Hintergrund zugänglich ist. Dieser Ansatz ist sicher lobenswert, jedoch bestehen in der Umsetzung noch einige Lücken. Aufbau und Ablauf der Ausstellung erschliessen sich beispielsweise nicht zwingend von selbst. In die thematische Aufteilung der vier Wände und die richtige Abfolge der Themen entgegen dem Uhrzeigersinn wird zu keinem Zeitpunkt in der Ausstellung oder im Begleitheft eingeführt. Hinzu kommt, dass der Ausstellungort im Hauptgebäude der ETH für bildungsferne Personen durchaus abschreckend sein kann.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diese Ausstellung einen interessanten Vorschlag anbietet, wie ein Nachlass für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Der Ansatz, das Schreiben mit seinen Abläufen und den notwendigen Gebrauchsgegenständen als Narrativ der Ausstellung zu verwenden, geht gut auf. Die Ausstellung folgt klar ersichtlich einem roten Faden, der die Gegenstände des Nachlasses kontextualisiert und schlüssig miteinander in Zusammenhang bringt. Thomas Mann wird dabei nicht nur als Schriftsteller gezeigt und auf seine Arbeit reduziert, sondern es erfolgt eine Einführung in sein Leben weit über seine Arbeit als Autor hinaus. Die Ausstellung löst ausserdem sehr geschickt die Frage, wie man persönliche, alltägliche Gegenstände der Öffentlichkeit präsentiert, obwohl diese nie für die Aussenwelt bestimmt waren. Durch diverse gestalterische Mittel wird eine intime Atmosphäre kreiert und das Motiv des Einblicks und der Nähe verfolgt und vermittelt. Durch diesen Gegensatz zu einer unpersönlichen Museumsatmosphäre wird den Besucher:innen eine angenehme und entspannte Auseinandersetzung mit Thomas Mann, seinem Leben, seinem Alltag und seinem Schreiben ermöglicht.
«Im Schreiben eingerichtet. Thomas Mann und sein Arbeitszimmer» ist eine Dauerausstellung im ETH-Hauptgebäude, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Raum E 43, Mo–So, 10–17 Uhr.