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Von der SGV zur EKWS – Eckdaten zur Geschichte

Ausführlich dargestellt und mit historischer Einordnung ist unsere Geschichte auch als PDF downloadbar: EKWS – die ganze Geschichte.

Aufruf und Einladung Generalversammlung 1896
Aufruf und Einladung GV 1896

Gründung 1896: Eine junge Disziplin etabliert sich

Im 19. Jahrhundert war die Volkskunde, das Fach, aus dem später die Empirische Kulturwissenschaft werden sollte, noch ein Teilgebiet der Philologie. Als eigenständige Disziplin etablierte sie sich erst um die Wende zum 20. Jahrhundert. Bei der Entflechtung spielten Fachgesellschaften eine zentrale Rolle, so auch im Fall der heutigen Empirischen Kulturwissenschaft Schweiz (EKWS).

Die Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde (SGV) erfolgte am 3. Mai 1896 in Olten. Treibende Kraft war Eduard Hoffmann-Krayer. Der Aufruf zur Gründung betonte die Notwendigkeit, traditionelle Sitten und Bräuche vor dem Verschwinden zu bewahren, und erhielt breite Unterstützung. Innerhalb kurzer Zeit gewann die SGV zahlreiche Mitglieder aus verschiedenen Regionen der Schweiz, insbesondere aus den Universitätskantonen Basel und Zürich.

Zeitschriften für Forschende und Laien: SAVk und Korrespondenzblatt

1897 erschien erstmals die Zeitschrift «Schweizerisches Archiv für Volkskunde (SAVk)». Mit der Präsentation von Forschungsergebnissen – die Reichweite des SAVk ging von Anfang an über die nationalen Grenzen hinaus – etablierte sie sich als führendes Organ der Disziplin. Heute publiziert das SAVk zweimal jährlich Beiträge zu alltagskulturellen, regionalethnographischen und kulturwissenschaftlichen Themen sowie zahlreiche Buchbesprechungen.

Ab 1911 erschien zudem das «Korrespondenzblatt», ab 1995 «Schweizer Volkskunde – Folklore suisse – Folclore svizzero». Nebst Beiträgen zum Vereinsgeschehen wurden darin Artikel für interessierte Laien veröffentlicht. 2019 wurde die gedruckte Version durch das Online-Magazin «das bulletin. Für Alltag und Populäres» ersetzt. Dieses publiziert seit 2021 Beiträge für ein breites Publikum, die Einblicke geben in aktuelle kulturwissenschaftliche Forschungen, kulturhistorische Entwicklungen und kulturelles Geschehen.

SAVk neu und alt
SAVk neu und alt

Fachbibliothek

Bereits 1896 begann die SGV auch mit dem Aufbau einer Fachbibliothek, die im Laufe der Jahrzehnte kontinuierlich erweitert wurde. Durch den Austausch mit zielverwandten Institutionen weltweit wuchs der Bestand stetig auf etwa 72.000 Medien, darunter Bücher, Zeitschriften und AV-Medien. Alle Bestände sind heute im Rechercheportal swisscovery zugänglich.

Erste Sammlungs- und Forschungstätigkeiten

In den frühen Jahren der SGV wurden verschiedene Komitees und Abteilungen gegründet, die erste Sammlungs- und Forschungstätigkeiten initiierten: 1900 ein Komitee für Volksmedizin, das noch im selben Jahr eine umfangreiche Fragebogenaktion startete, 1906 das Schweizerische Volksliedarchiv und 1919 eine Abteilung Haus- und Siedlungsforschung.

Ab den 1930er-Jahren initiierte die SGV mehrere Grossprojekte, welche die Gesellschaft über viele Jahrzehnte beschäftigen sollten. Sie alle profitierten – sowohl ideell als auch finanziell – von der so genannten Geistigen Landesverteidigung, einer politisch-kulturellen Bewegung, welche die Schweiz von den 1930er- bis in die 1960er-Jahre prägte. Durch ihre Projekte brachte sich die SGV aktiv in die Förderung der von der Geistigen Landesverteidigung propagierten Werte ein.

Von der Enquête I zum Atlas der Schweizerischen Volkskunde (ASV)

Im Vorfeld der für das Jahr 1934 geplanten Internationalen Volkskunstausstellung führte die SGV eine umfangreiche Fragebogenaktion namens «Enquête I» durch. Zwar kam die Ausstellung nicht zustande, aber der Rücklauf der Fragebögen war so gut, dass sich die SGV dazu entschloss, eine zweite Erhebung zu Alltag und Brauchtum in der Schweiz durchzuführen. Die Ergebnisse wurden im «Atlas der Schweizerischen Volkskunde» (ASV) kartografisch dargestellt. Geleitet wurde das Projekt von Richard Weiss und Paul Geiger. Die Datenerhebung fand zwischen 1937 und 1942 statt, veröffentlicht wurden die thematischen Karten in den Jahren 1950 bis 1988.

Bauernhausforschung

1919 gründete die SGV die Abteilung «Haus- und Siedlungsforschung», die sich auf die Erforschung sogenannt «archaischer Urformen» im alpinen Raum konzentrierte. In den 1930er-Jahren organisierte sie mit Unterstützung von Bund und Kantonen den «Technischen Arbeitsdienst», bei dem Planaufnahmen von Bauernhäusern und ländlichen Siedlungen erstellt wurden. 1944 entstand daraus die «Aktion Bauernhausforschung in der Schweiz», die zum Ziel hatte, die wesentlichen ländlichen Bauten der Schweiz zu dokumentieren und zu publizieren.

Ab 1960 wurden die Daten wissenschaftlich ausgewertet. Die Forschung verlagerte sich im Verlauf der folgenden Jahrzehnte von der Untersuchung von Konstruktions- und Bautypen zu sozial- und wirtschaftshistorischen Fragen. Ab Mitte der 1990er-Jahre kombinierte man die Erkenntnisse aus der Bauforschung mit archivalisch recherchierten Besitzer- und Nutzungsgeschichten.

Geleitet wurde die Bauernhausforschung von Max Gschwind und später von Benno Furrer. Die Ergebnisse wurden in der SGV-Reihe «Die Bauernhäuser der Schweiz» (1965–2019) veröffentlicht. Ein umfangreiches Archiv mit Fotografien und Plänen sowie eine Bibliothek mit ca. 8300 Titeln entstanden. 2020 übergab die SGV das Archiv der Bauernhausforschung dem Freilichtmuseum Ballenberg, um sicherzustellen, dass die Materialien auch zukünftig zugänglich bleiben.

Bauernhäuser_Graubünden_Solothurn
Bände Graubünden und Solothurn der Reihe "Bauernhäuser der Schweiz"

Abteilung Film und Reihe «Altes Handwerk»

Die Abteilung Film der SGV wurde 1942 gegründet, um traditionelle Handwerks- und Arbeitsweisen zu dokumentieren, die im Verschwinden begriffen waren. Die daraus entstehende Filmreihe «Altes Handwerk» wurde durch begleitende Broschüren und Fotografien ergänzt. In den ersten zwei Jahrzehnten wurden die Filme hauptsächlich von Fotografen oder Filmamateuren realisiert. Ab den 1960er-Jahren übernahmen diese Aufgabe auch junge Schweizer Filmemacher, die später als Autoren des neuen Schweizer Dokumentarfilms bekannt wurden. Diese Filmemacher hatten weitgehende künstlerische Freiheiten und schufen eine neue Art von ethnografischem Dokumentarfilm.

In den 1980er-Jahren erweiterte die SGV unter Abteilungsleiter Hans-Ulrich Schlumpf ihre Filmproduktion thematisch, indem sie sich auch auf technisch-industrielle Bereiche konzentrierte. Ab den 1990er-Jahren wurden SGV-Filme vermehrt in Zusammenarbeit mit universitären Instituten produziert. Diese Filme halfen, wissenschaftliche Forschung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Ab 1902 veröffentlichte die SGV erste Publikationen in der Reihe «Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde». Im Laufe von gut 100 Jahren folgten viele weitere Schriftenreihen und zahlreiche Einzelpublikationen, u.a. in den Jahren 1993 bis 2014 die 53 Bände umfassende Reihe «Das volkskundliche Taschenbuch». Diese erschloss bis dahin nicht öffentlich zugängliche Autobiografien, Tagebücher und Briefwechsel in historisch-kulturwissenschaftlichen Editionen und trug zu einer veränderten Wahrnehmung historischer Alltagswelten bei. Bis Anfang der 2000er-Jahre erschienen die Publikationen mehrheitlich im SGV-eigenen Verlag. In den folgenden Jahren konzentrierte sich die SGV auf ihre Herausgebertätigkeit.

Schriften SGV. Auswahl
Schriften der SGV: Auswahl Verlagsprogramm

EKWS-Archiv

Die EKWS verfügt über ein Archiv mit hochkarätigen Sammlungen, die das alltägliche Leben der letzten 175 Jahre in der Schweiz und darüber hinaus dokumentieren. Das Archiv umfasst Foto-, Ton-, Film- und Schriftobjekte. Ein Teil der Materialien stammt aus Forschungsprojekten der SGV, während weitere Sammlungen durch Schenkungen, Nachlässe oder Ankäufe hinzugekommen sind. Auch Vereinsdokumente sind Teil des Archivs.

Der Filmbestand setzt sich aus den von der SGV-Abteilung Film produzierten Werken sowie angekauften Filmen zusammen. Das Schweizerische Volksliedarchiv (SVA) umfasst eine Sammlung von über 35'000 Liedblättern in verschiedenen Sprachen und wurde durch Schenkungen, Nachlässe und Ankäufe ergänzt, u.a. durch die Sammlung Folk-Festival auf der Lenzburg (1972–1980). Zum Fotobestand gehören neben Dokumenten aus Grossprojekten diverse Nachlässe, Schenkungen und Ankäufe. Diese decken ein breites Themenspektrum ab. Die umfangreichste Sammlung ist der Nachlass des Fotojournalisten und Bauernhausforschers Ernst Brunner (1901–1979). Im Rahmen des Synergia-Forschungsprojekts «Partizipative Wissenspraktiken in analogen und digitalen Bildarchiven» (PIA) werden aktuell weitere Sammlungen digitalisiert und innovative Zugänge zu den digitalisierten Beständen erforscht.

Albumbearbeitung. Foto: Christian Flierl
Albumbearbeitung. Foto: Christian Flierl

Vom Sammeln und Forschen zum Vermitteln und Vernetzen

Die EKWS hat in ihrer über 125-jährigen Geschichte auch zur Vermittlung von Alltags- und Populärkultur in der Schweiz beigetragen. In den letzten Jahrzehnten wurde das Veranstaltungsprogramm mit Exkursionen, Jahresversammlungen und Tagungen intensiviert. Von 1996 bis 2019 organisierte die SGV erfolgreiche volkskundliche Studienreisen für ihre Mitglieder. Seit 2016 findet unter der Schirmherrschaft der EKWS jährlich im Herbst eine Studierendentagung statt.

Ab 1946 übernahm die SGV eine neue wichtige Aufgabe, nämlich die Vertretung des Fachbereichs Volkskunde, später Empirische Kulturwissenschaft, in der neu gegründeten Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW). Heute dient die SAGW als Dachorganisation für rund 60 Fachgesellschaften und Stiftungen und engagiert sich als Vermittlerin zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Stadtführung Olten, Oktober 2023
Stadtführung Olten, Oktober 2023

Reorganisationsmassnahmen der letzten Jahre

Seit der Jahrtausendwende haben sich die Rahmenbedingungen für die EKWS in diversen Bereichen, welche die EKWS direkt betreffen, verändert: Die traditionelle Vereinskultur verliert an Bedeutung, das Verlags- und das Bibliothekswesen sind im Umbruch, zukunftsweisend sind elektronische Publikationen, Open Access und zentrale Bibliotheken. Auch die Schweizer Forschungslandschaft hat sich gewandelt.

Um die Zukunft der Gesellschaft zu gewährleisten, hat der Vorstand ab 2019 eine Reorganisation eingeleitet. Per 1. Januar 2023 wurde die SGV-Bibliothek an die Universitätsbibliothek Basel übergeben. Die Archivbestände verbleiben im Eigentum der EKWS. Auch der Vereinsname wurde an das aktuelle Fachverständnis angepasst: Am 28. Oktober 2023 beschloss die Mitgliederversammlung mit überwältigendem Mehr die Umbenennung in Empirische Kulturwissenschaft Schweiz (EKWS). Parallel zur Namensänderung wurden Ziele, Ansprechgruppen und Tätigkeitsfelder in einem Leitbild und in neuen Statuten festgehalten. Die EKWS versteht sich heute als partizipatives Netzwerk, das alle Akteur:innen zusammenführt, die in der Schweiz zu Alltags- und Populärkultur forschen oder diese einer breiten Öffentlichkeit vermitteln.