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Caring Agriculture

Caring Agriculture (oder Sorgsame Landwirtschaft) bezeichnet eine Landwirtschaft, der es um langfristige soziale und persönliche Beziehungen geht: mit Menschen (Familienmitglieder, Mitarbeiter:innen und Kund:innen), aber auch mit Pflanzen, Tieren und Bodenlebewesen. So lassen sich die Überzeugungen und Praktiken kleinstrukturierter Bio-Landwirt:innen in Bezug zu feministischen care-Diskursen und multispecies Zugängen in den Kulturwissenschaften setzen.

Drei Bio-Höfe kurz vorgestellt

Die Fallbeispiele werden in unserer open access Publikation Sorgsame Landwirtschaft im Detail vorgestellt. Erhoben wurden die Daten von Andrea Heistinger mithilfe von Interviews und Hofbesuchen. Drei der Höfe will ich in aller Kürze vorstellen: 

Buchcover Heistinger/Kosnik/Sorgo (2022): Sorgsame Landwirtschaft

Familie Adam (Raphaela und Eduard mit zwei Kindern) hat seit vier Jahren einen Kleinbetrieb für Bio-Gemüseanbau. Das Grundstück gehört Raphaelas Eltern. Vertrieben wird das Gemüse auf zwei Wochenmärkten, über vier Foodcoops und ein Catering-Unternehmen. Sie haben bezahlte und freiwillige Mitarbeiter:innen und bieten Workshops zum Gemüseanbau an. Weder Raphaela noch Eduard wuchsen in einer Landwirtschaft auf, interessierten sich aber bereits in jungen Jahren für diesen Berufsweg. In Frankreich lernen sie sich an einer Gartenbauschule kennen. Ihr Ziel ist es, eine Community Supported Agriculture (CSA) aufzubauen. 

Familie Bergmann (Martin und Andrea mit zwei Kindern und Martins Mutter) leitet den Betrieb seit elf Jahren. Martin übernahm den wirtschaftlich erfolgreichen, konventionellen Betrieb für intensive Hühnerhaltung, nachdem sein Vater verstorben war. Bald darauf erlebte Martin ein Burnout. Aus ihrem Studium der Umweltpädagogik brachte Andrea neue Ideen über Nachhaltigkeit mit. Sie stellten den Betrieb auf Bio-Gemüseanbau um und beschlossen, den Betrieb als CSA zu führen. Martin hat eine Landwirtschaftsschule absolviert. Das Wissen um Gemüseanbau eigneten sich beide erst durch die praktische Arbeit am Feld an, sowie durch den Austausch mit Kolleg:innen. 

Familie Conrad (Marianne und Heinz mit Kind) kaufte vor 16 Jahren einen aufgelassenen Hof. Dort bauten sie sich einen Bio-Milchbetrieb mit 160 Ziegen und 30 Kühen auf. Davor hatten sie eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft am anderen Ende Österreichs. Marianne ist gelernte Hotelfachfrau und Heinz Maschinenschlosser. Heinz hat in seiner Jugend in einer Landwirtschaft mitgearbeitet. Marianne absolvierte mehrere Kurse (Käse- und Wurstwarenherstellung, Tiergesundheit) und studierte die Fachliteratur. Zusätzlich holte sie sich praktische Tipps von einem befreundeten Käsemacher. Sie betreibt ihre eigene Hofkäserei und bietet die Produkte auf vier Wochenmärkten an. 

Care-Diskurse und Landwirtschaft

Der Begriff Caring Agriculture ging aus einem Forschungsprojekt hervor, das Andrea Heistinger, Gabriele Sorgo, Helmut Eberhart und ich zwischen 2017 und 2019 in Österreich durchgeführt haben. Der Fokus des Projekts lag auf neuen Ideen im Bio-Landbau, mit denen es gelingt, sich dem «Wachsen oder Weichen» Paradigma in der Landwirtschaft zu entziehen (man spricht im Zusammenhang mit diesem Paradigma auch von der Konventionalisierung der Bio-Landwirtschaft). Erforscht wurden Haupterwerbslandwirtschaften, auf denen zertifiziert-biologische Grundnahrungsmittel produziert und regional vertrieben werden. Die Wahl fiel auf Landwirt:innen, die Neues in Anbau und Vermarktung ausprobieren und von sich sagen, dass sie davon gut leben können. Wir wollten (1) herausfinden, wer diese Landwirt:innen sind, die sich für diesen Lebensweg entscheiden, (2) woher sie ihr land- und betriebswirtschaftliches Wissen haben und (3) mehr über ihre Handlungen und ihre Motive erfahren. In diesem Beitrag möchte ich vorrangig darauf eingehen, wie und warum wir die Ideen und Handlungen unserer Forschungsteilnehmer:innen mit dem feministischen care-Diskurs in Verbindung bringen. 

Bei unseren Forschungsteilnehmer:innen fiel uns immer wieder auf, dass sie Beziehungen in den Vordergrund stellen. Dabei geht es einerseits um Beziehungen zu Menschen, wie zu ihren Kund:innen, zu denen sie direkte Kontakte pflegen. Es geht ihnen aber auch um Beziehungen zu ihren nicht-menschlichen Mitlebewesen. «Zuwendung erzeugt Beziehung – und Beziehung überschreitet Grenzen, auch jene zwischen den Spezies»[i], schreibt Sorgo. Bei Landbaumethoden und Tierhaltung gingen alle Interviewpartner:innen über die gesetzlichen Bio-Standards der EU hinaus. Sie wollen sich nicht nur als Abnehmer:innen der Leistungen von Bodenlebewesen, Pflanzen und Tieren verstehen, oder als Verarbeiter:innen ihrer Produkte und Körper. Aus diesem Grund entschloss sich auch Familie Bergmann, den konventionellen Hühnerbetrieb aufzugeben. Andrea Bergmann erzählt: «Ja und auch, dass die Hühner total überzüchtet sind, das hat für uns auch nicht mehr gepasst. Weil wir haben es da mit Lebewesen zu tun und die sind gehandhabt worden wie Roboter.» 

Gerade dieses in-Beziehung-treten ist mit einer produktivistischen Denkweise unvereinbar. Die Viehwirtin Marianne Conrad erzählt: «Wichtig scheint mir einfach, das möchte ich auch meinen Kunden vermitteln: Wertschätzung. Man muss net alles tot spritzen. […] Ich setze mich auch dafür ein, dass alte Tiere nicht immer sofort ausrangiert werden müssen. Weil das ist heute auch ein Problem. Man schreibt ja schon vor, die Tiere sind zu alt, sie gehören weg. Ich finde, wenn ich der Meinung bin, mein Ziegenbock ist mit acht Jahren nicht zu alt und ich möchte ihn ableben lassen, ist es meine Entscheidung. Ich möchte das nicht vorgeschrieben kriegen [bekommen]. Ich möchte eine Wertschätzung für das Tier, das mir sein Leben lang gedient hat. Das finde ich auch wichtig. Es muss net alles immer nur auf Gewinn auf‘baut sein.» 

Die klassische Wirtschaftstheorie unterscheidet produktive Arbeit von reproduktiver (care) Arbeit. Feministische Diskurse zeigen seit den 1970ern auf, wie care-Arbeit als «unproduktive», meist unbezahlte Tätigkeit systematisch unsichtbar gemacht und entwertet wird. «Der Verwertung von care-Arbeit sind Grenzen gesetzt, insofern Sorgearbeit kaum Renditen bringen kann. Gleichzeitig baut die Gesellschaft darauf auf, dass care-Arbeiten dauerhaft kostengünstig zur Verfügung stehen.»[ii]  

Forschungsregion Oststeiermark, Österreich (Foto: Kosnik 2019)

Alle Landwirt:innen betonten, dass sie sehr viel, aber auch sehr gerne Arbeiten und Erfüllung in ihrer Tätigkeit finden, solange sie ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen können. Sie verstehen sich als Teil einer Gemeinschaft, welche auch Tiere, Pflanzen, Bodenlebewesen einbezieht; eine Gemeinschaft, die voneinander abhängig ist und füreinander sorgt. Abhängigkeit von Banken oder durch fixe Verträge mit Zulieferern und Abnehmern werden abgelehnt. Das Eingebettet-sein in ein soziales Gefüge wird dagegen als etwas Bereicherndes betrachtet. Die Bauern und Bäuerinnen verstehen sich als Teil von sinnstiftenden Beziehungsnetzen. Das Durchrationalisieren dieser Beziehungen verdirbt ihnen die Freude an ihrer Arbeit. 

Raphaela Adam sagt: «Und wenn du anfängst, das wirklich durchzurechnen und durchzukapitalisieren, wirst du halt irgendwann einmal manche Sachen weglassen und das finde ich voll schade, weil darum geht es uns ja, das wollen wir ja nicht.» Ihr Mann ergänzt: «Genau, das ist nicht wirtschaftlich. Und das ist mir schon bewusst in Wirklichkeit, aber die Wirtschaft ist für mich nicht der Punkt. Mein Punkt ist, meinen Boden zu verbessern und eine gute Ernährung zu kreieren; und eine gute Ernährung ist für mich ein bisschen gleichwertig mit Medizin. […] Das ist menschlich produziert worden. Nicht mit Maschinen. Das heißt menschlich für mich. Bio ist für mich sozusagen eine Marke, eine Werbung. Aber menschliche Gemüse ist etwas, das wirklich mit der Natur produziert ist, nicht dagegen. Und ohne Gewalt.» 

Manche Landwirt:innen brachten diese Einstellung von vorneherein mit, für andere war es ein jahrelanger Prozess. Martin Bergmann erinnert sich an die Umstellungsphase auf seinem Betrieb: «Mit einem Agraringenieur, der als Landwirtschaftsmanager ausgebildet worden ist, ist ein System, wo die Betriebswirtschaft ein bissl in den Hintergrund rückt und andere Faktoren entscheidender sind, das ist nicht so gleich vorstellbar gewesen.» Zu seiner Frau sagt er: «Ich habe ganz bewusst gesagt zu dir, ich möchte gar nicht, dass du jetzt [eine Ausbildung zum] landwirtschaftlichen Facharbeiter oder so machst, weil diese Gehirnwäsche hab eh ich durchgemacht. Also dieses Wissen decke ich quasi ab. Und da war die Umweltpädagogik – oder dann für mich auch diese Bodenpraktiker-Ausbildungen – das, wo für mich eigentlich ein Naturzugang gekommen ist. Der ist ja in den Schulen eigentlich nicht wirklich präsent.» 

Diese Einstellungen bezeichnen wir als Caring Agriculture oder sorgsame Landwirtschaft. Sorgsamkeit, schreibt Sorgo, ist nichts Bedrückendes oder Belastendes, sondern hat mit dem guten Leben zu tun. «Sorgsamkeit impliziert eine Haltung der Aufmerksamkeit und Offenheit gegenüber Mitmenschen und Umwelt.»[iii]

Ausblick

Nicht nur Bio-Landwirt:innen aber auch nicht alle Bio-Landwirt:innen denken und handeln einer sorgsamen Landwirtschaft entsprechend. Die Wahrnehmung von Mitlebewesen als Teil einer Beziehungsgemeinschaft steht aber in einem starken Kontrast zu einer Landwirtschaft, in der Boden, Pflanzen und Tiere als marktwirtschaftliche Ressourcen betrachtet werden, die allein der Profitsteigerung dienen müssen. Sorgo schreibt: «Bäuerliches Handeln wurde oft zu teilnahmslosem Handeln. Früchte werden aufgrund von Verträgen mit Handelspartner:innen zu früh geerntet und Jungtiere von den Muttertieren getrennt, weil die Logik des Marktes dies verlangt.»[iv]

Nicht nur Martin Bergmann hat schon in der Schule gelernt, die Logiken marktwirtschaftlicher Kalkulationen als «normal» zu akzeptieren. Die lebenswichtigen und lebenswerten Beziehungen zu Umwelt und Mitmenschen werden dabei ausgeblendet. Auch die Landwirt:innen in unserem Forschungsprojekt müssen von ihrem landwirtschaftlichen Einkommen leben. «In ihren Praktiken der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung suchen sie allerdings nach Möglichkeiten, dies ohne Ausbeutung von Bodenlebewesen, Tieren oder Menschen, einschließlich ihrer eigenen Arbeitskraft, zu erreichen».[v] Auch ihnen gelingt das nicht immer. Ökonomische Zwänge und behördliche Vorschriften zwingen sie immer wieder zu Kompromissen. Ihre Wünsche gleichen den Forderungen anderer, die Pflege- und Sorgearbeiten leisten: mehr Wertschätzung und eine faire Entlohnung für ihre ganze Arbeit. 

Elisabeth Kosnik

Elisabeth Kosnik (Mag. Dr. phil.), Kulturwissenschaftlerin; studierte in Österreich, Schottland und Neuseeland; lehrt Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Wien und an der Karl-Franzens Universität Graz, zu Umweltanthropologie, Nachhaltigkeit, multispecies studies, politischer Ökologie, Wirtschaftsanthropologie und Konsum; forscht über WWOOF und Selbstversorgung. 
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