
»Upcycling Music« – Klänge und Materialität zusammendenken
Im Musikmuseum Basel gilt derzeit ausdrücklich nicht «Nicht berühren!», sondern Mitmachen: zumindest für die Ausstellung »Upcycling Music«, die humorvoll über Klänge, Materialität und Konsumethik nachdenkt und zum Musikmachen einlädt. Wir waren an einer Führung mit dem Ausstellungsmacher, dem Musiker und Künstler Max Castlunger, dabei. (Und am 22. Mai 2025 spielt seine Upcycling Band in Basel!)

Zum Video «Spina de Mül - Upcycling Music (old stainless steel cover)» (Max Castlunger, via Youtube).
⠀
⠀
Schon im hallenden Treppenhaus des ehemaligen Gefängnisses, in dem sich das Musikmuseum Basel befindet, begrüsst die Besucher:innen ein irres Dröhnen: Es stammt von der vorausgehenden Schulklasse, die zum Abschluss ihrer Führung durch die aktuelle Sonderausstellung mal so richtig alle Instrumente – wir kommen auf sie zurück – ausprobiert. Dann wird es wieder ruhiger im Museum, bis ein Schneckenhorn ertönt, mit dem uns Max Castlunger (the artist is present!) in seine Ausstellung ruft.
«Upcyling Music» – aus Alt mach neue Klänge
«Upcycling», aus unbrauchbaren Dingen Neues machen, wie geht denn das mit Musik? Klänge sind immateriell, doch da Schallwellen immer von Objekten erzeugt werden, sind sie auch an Objekte gebunden. Und hier kommen wir zum Upcycling, denn die Instrumente in dieser Ausstellung sind kreativ aus «Abfällen» – aus einem klassischen Nutzungszusammenhang heraus Gefallenem – hergestellt, und mit ihnen werden auch die Klänge zu Neuheiten, die immer wieder überraschen. Parkettstäbe werden zu Klanghölzern eines Marimbas («Balarimba», in Anlehnung an die afrikanischen Instrumente Balafon und Marimba), die Buchstaben einer alten Computertastatur zu einer Rassel, und ein kleiner Tisch wird zur Cajón («Samesa», aus dem Sardischen, sa mesa – der Tisch). Denn die Wohnungen würden ja immer teurer und kleiner, wie der Künstler erklärt, da sei es doch praktisch, wenn man auf einer Trommel auch frühstücken könne … Humor ist eine Waffe in dieser Ausstellung.
Sogleich werden wir eingeladen, mitzumachen. Es schallt, scheppert und surrt, und wir klopfen, klappern und produzieren Klänge: «Rhythmus hält uns am Leben, mit Musik kommen wir durch die Welt», sagt Castlunger und ahmt einen Herzschlag nach, bummbumm, bummbumm. Sein Spirit springt schnell auf unsere Gruppe über: Wir alle bekommen ein Instrument in die Hand gedrückt, und zusammen finden wir bald zu einem gemeinsamen Rhythmus. Die Idee, übrig gebliebene Materialien zu bearbeiten und buchstäblich harmonisch aufeinander abzustimmen, zieht sich nicht nur durch die gesamte Ausstellung, sie überträgt sich auch auf unsere Gruppe.
In den Instrumenten steckt das pralle Leben, in all seiner Harmonie, seinem Überfluss und auch den tragischen Momenten. Jedenfalls, so erzählt er uns, habe er während der Corona-Pandemie damit begonnen, scheinbar nutzlos gewordene Dinge zu sammeln und wieder zum Leben zu erwecken – musikalisch. Aufgewachsen ist der Musiker und Musikpädagoge in Südtirol, spricht Ladinisch, sein Großvater war Schmied, sein Vater Kunstschmied, und vielleicht war es für ihn als Schlagwerker nur ein logischer Schritt, nicht nur auf Instrumente zu schlagen (in allen feinen Nuancierungen), sondern auch selbst welche zusammenzuhämmern. Die Dinge dafür findet Max Castlunger in der Welt oder sie werden ihm von Bekannten angeboten.
«Oxybell» (Video: Max Castlunger, via Youtube).
⠀
⠀
Das Selbstgemachte, Handwerkliche, das im Upcycling der Dinge steckt, ist überall in den Objekten spürbar: So hatte man das noch gar nicht gesehen. Da ist zum Beispiel ein beeindruckend sphärisch klingendes Vibraphon aus leeren Sauerstoffflaschen – wem hat dieses «Oxybell» wohl einst Leben eingehaucht? Eine Trommel aus Holz und Hirschfell wird «Cerf» (ladinisch – Hirsch) getauft, PVC-Röhren und alte Gartenmöbelgestelle werden zu einem «Tubophon» verbunden, das mit Flipflops gespielt wird und wie ein alter Synthie klingt. Aufregende Klänge – da ist das «Lithophon», ähnlich einem Xylophon aber aus Steinen, fast schon brav.

Spielerisch die kulturelle Dimension der Dinge entdecken
In die Objekte eingeschrieben sind jedoch nicht nur Ideen des Künstlers, sondern lange musikalische Traditionen. Diese treten im Musikmuseum in einen Dialog – auf die kulturellen Aspekte der Instrumente geht Castlunger auch immer wieder ein. So wird am «Santur Chippendale» kurz die Geschichte des Cembalos erklärt: Dieses Chordophon klingt wie ein persisches Instrument, es bildet den Vorläufer für viele andere Saiteninstrumente, etwa das Hackbrett oder das Cembalo (wovon sich einige im Museum befinden). Und für musikethnologisch Interessierte wird in Castlungers Instrumenten und ihrer Anordnung eine Systematik (Hornbostel-Sachs) erkennbar: Idiophone, Chordophone, Aerophone usw. sind jeweils zusammen gruppiert.
«Santur Chippendale», von der persischen Santur, kombiniert mit einem Chippendale-Hocker (Video: Max Castlunger, via Youtube).
⠀
⠀
Überhaupt, die Namen selbst sind ein humor- und kulturvoller Assoziations-Streifzug: Seine Instrumente benennt Castlunger fantasievoll, so ist die «Betty» aus einer alten Bettwärmflasche als Resonanzkörper gearbeitet, beim «Cönachord» handelt es sich um eine zum Monochord umgearbeitete Wiege (ladinisch, cöna – Wiege), und eine große Rahmentrommel heisst «Löna» (ladinisch, Mond), vielleicht weil ihre Größe und ihr helles Fell an einen Vollmond erinnern. Ein bekanntes populäres Lied summen wir mit «Bella Schlauch» mit: an diesem Instrument sind hunderte Schlüssel an einem Schlauch aufgehängt, und beim Drehen erklingt die Melodie von «Bella Ciao» (zum Video).

Nachdenken über Dinge und Abfall
«Upcycling Music» will eine haptisch und sonisch erfahrbare «Mitmachausstellung» sein, und damit hat das Museum nicht zu viel versprochen. Die Ausstellung lädt über die Musik und den spielerischen Zugang hinaus auch zum Philosophieren ein, zum Nachdenken über Recycling, Müll, Überfluss, Objektgeschichten, Materialien, Arbeit, Handwerk oder Kreativität. Die Kunst-/Musikobjekte bestehen aus Dingen und Materialien aller Art: So können Trommeln aus alten Weinfässern, kann ein Xylophon aus alten Holzresten gefertigt sein oder besteht eine Rassel aus den Buchstaben einer Computertastatur. Was ist «natürlich», wo beginnt «kultürlich» – die Übergänge sind fließend, denn in unserer Welt gibt es keine Materialien, die nicht schon kulturell geformt sind, und seien es im Wald geschlagene Holz-«Abfälle». Und so regt die Ausstellung auch dazu an darüber nachzudenken, was eigentlich Müll oder Abfall ist, wie man ihn wieder- und weiterverwerten kann – und wir ihn vermeiden könnten. Glücklicherweise wurden die Abfälle in dieser Ausstellung nicht vermieden.
Katalog & Infos
Die Ausstellung im Musikmuseum Basel läuft noch bis zum 29. Juni 2025. Begleitprogramm online. Konzert der Upcycling Music Band am 22. Mai 2025, 19:00 Uhr in der Barfüsserkirche.
