«Die Demo ist ein perfekter Ort»
Jugendliche auf der ganzen Welt protestieren seit Jahren gegen die Untätigkeit im Kampf gegen den Klimawandel - auch in der Schweiz. Wir haben mit Lucas Zibulski gesprochen. Er hat 2019 bei den Klimaprotesten auf dem Barfüsserplatz in Basel eine Rede gehalten, die wir hier dokumentieren. Lucas studiert seit Sommer 2019 Schlagzeug an der Musikakademie Basel und hat während seiner Gymnasialzeit oft an den Fridays for Future teilgenommen. Im Interview spricht er über Fridays for Future in Basel, seine Motivation, sich an den Klimaprotesten zu beteiligen, Radikalität, globale Vernetzung, aber auch die Ausschlussmechanismen einer Protestbewegung.
Der Beitrag erschien im Bulletin 2019/3.
KLIMA-DEMO (machen ist wie wollen, einfach krasser!)
Was siehst Du?
Ich seh’ ‘ne Erde, ein blauer Planet
Im unendlichen All, wie er schwebt, wie er dreht
‘Ne Sonne, um die er sich bewegt
Und ‘ne Menschheit, die auf ihm lebt
Was siehst du?
Ich seh’ nicht schwarz und weiss,
Ich seh’ nur arm und reich
Und dass die Luft hier ziemlich bald nicht mehr zum Atmen reicht
Dass der Pegel steigt,
Zerstörung des Artenreichs
Dass der Menschheit wirklich nicht mehr so viel Zeit zum Warten bleibt
Modeschau in noblen Pelzen
Unsere Lackschuhsohlen glänzen
Während wir uns in Kohle wälzen
Langsam unsere Pole schmelzen
Der Smog verbreitet sich schnell, der unseren Himmel errötet
Wir sind geleitet vom Geld und es wird dafür getötet
Doch wir woll’n konsumier’n, Konzerne woll’n profitier’n
Alle gewinnen nur kann die Welt so nicht fortexistier’n
Die sogenannte Freiheit unseres Lebensstandards macht uns blind
Und wir seh’n nicht, dass wir Konsumenten Verursacher sind
Von jeder Mine, in Händen westlicher Industrien
Von all jenen Tieren und Menschen, die ihren Sinn verlier’n
Von jedem abgesägten Baum, der zu Span wird
Von jedem lang ersehnten Traum, der nie wahr wird
Was siehst du?
Ich seh’ ne Erde, ein schwarzer Planet
Im unendlichen All, wie er verharzt und verklebt
Ne Sonne, um die er sich bewegt
Und ne Menschheit, die sich selbst ne Grube gräbt
Was siehst du?
Ölsand, Braunkohle: alles auf dem Tagebau
Uran, dessen Zerfall zirka zehn Milliarden Jahre braucht
Und «Ach das arme Klima», das Klima hinkt leider sehr
Schweigeminute: denn an Fukushima denkt keiner mehr
Auf wie viele Tote haben wir passiv gezielt,
Haben das Meer leer gefischt und es plastifiziert
Sind nun vom Hass infiziert und nur von Spass inspiriert
Und haben deswegen diese Welt bisher krass malträtiert
Wir denken, dass unsere Privilegien hier alle kriegen
Familie, Bildung, Haus und jeden Sommer nach Malle fliegen
Man vernichtet diese Welt, für fettes Geld auf den Sparkonten
Doch wie sollen folgende Generationen klarkommen?
Aber ich scheiss drauf, ich schrei ’s raus
Das Leben ist ein ewiger Kreislauf
Was wir hinterlassen, wird unsre Kinder belasten,
Mit dem, was sie daraus machen, werden sich ihre befassen
Trotz Globalisierung sehen wir nur uns selbst
Unser Haus, unser Auto, unser Umfeld
Aber eben, kaum geht es um die Umwelt
Bin ich der Erste von uns der den Mund hält
Was siehst du?
Ich sehe die Welt, ein roter Planet,
Der in sich zerfällt und sich wie ein Toter bewegt
Schwarzer Rauch, der seine Gestalt verklebt
Und ne Menschheit, die sein Ende bald erlebt
Was siehst du?
Ich sehe massenhaft Leute, die auf die Strasse gehen
Und im Zusammenschluss von uns allen ne Chance sehen
Den zuvor genannten Tatsachen entgegen zu streben
Und das Bewusstsein dafür jedem hier aufzuerlegen
Sehe Leute, die den Mut haben sich umzusehen,
Sich nicht einfach umzudrehen und der Sache aus dem Weg zu gehen
Nein, es zu wagen, die Scheisse zu hinterfragen,
Die Problematik ist zu laut um sich einfach nur zu beklagen
Ich sehe wie unser Staat versagt, weil er nur Ärsche leckt,
Weil er mit den Raubkonzernen unter einer Decke steckt
Weil er Profit und Wachstum über unsere Zukunft stellt
Und sich bewusst seine Hände vor die Augen hält
Also sind wir laut, also bleiben wir dran
Denn dann irgendwann hört man sich auch unsere Meinung an
Dann reichen wir dem Pseudo-Klimaschutz das Wasser
Denn machen ist wie wollen, einfach krasser!
Text: Lucas Zibulski
das bulletin: Kannst du etwas dazu sagen, wie dieser Text zustande kam und wann und wo du ihn vor ein Publikum getragen hast?
Lucas Zibulski: Der Text ist als Rap entstanden. Personen aus meiner Klasse, die Fridays for Future organisieren, sind dann auf mich zugekommen und haben mich gefragt, ob ich an einer Demo etwas in Richtung Poetry Slam machen könnte. Ich habe dann diesen Rap-Text genommen und ihn etwas abgeändert. Im ursprünglichen Text geht die Welt unter. Die dritte Strophe habe ich umgestaltet, damit sie zur Demo und zum Motto «Machen ist wie wollen, einfach krasser» passt.
Als ich an diesem Samstag zu der Demo zum Barfüsserplatz gekommen bin und gesehen habe, dass der Platz gefüllt ist mit Menschen, hätte ich niemals gedacht, dass ich mich traue, vor so vielen Personen zu sprechen. Aber dann habe ich es einfach gemacht. In dem Moment, in dem all diese Menschen, die sich an diesem Tag für einen bestimmten Grund auf dem Barfüsserplatz zusammengefunden haben, ist es für mich zu einer Transzendierung dieses Texts gekommen. Jedes Wort bekam eine riesige Kraft und das war für mich ein krasses Erlebnis. Also, dass all diese Personen mit diesem gemeinsamen Konsens, der irgendwie spürbar war, mir zugehört haben und es einfach still war. Das hat mich sehr berührt.
Wie schätzt du die Basler Klimastreik-Gruppe ein?
Es sind super coole Leute und es ist bewundernswert, was sie machen und wieviel Energie sie reinstecken. Aber ich konnte mich nie sehr gut mit ihnen identifizieren. Sie haben sehr stark eine Art Monopol ergriffen mit dem «Klimastreik Basel». Es gibt «Klimastreik Schweiz» mit einem Organisationskommittee (OK) und jede Schweizer Stadt hat dann ein OK. Die Personen in Basel hatten eine Haltung im Sinne von «WIR machen die Demos und WIR kommunizieren mit Behörden und Polizei, WIR entscheiden, wie wir auftreten und was unser Leitspruch ist».
An den Demos selbst haben sie oft Kärtchen verteilt, dass keine Flyer für andere Anliegen ausgehändigt werden dürfen. Es dürfen also keine anderen Gruppierungen diese Demo nutzen, um ihre Interessen kundzutun. Auf eine Art ist das sicher gut. Man muss sich schützen, wenn jetzt zum Beispiel Rechtsextreme kommen und diesen Raum nutzen wollen, um ihre Parolen zu verbreiten. Aber irgendwie empfinde ich das auch als etwas monoton, diese Haltung: «Wir organisieren die Demos und streiken fürs Klima, lassen aber währenddessen nichts Anderes zu».
Was sollte man deiner Meinung nach anders machen?
Warum zum Beispiel lässt man die Demos immer bewilligen? Wieso nicht mal ein bisschen rebellischer und aggressiver auftreten? Die Demos eben nicht bewilligen lassen und damit zeigen, dass die Polizei und die Behörden, wenn sie dagegen vorgehen, genau das System stützen, das den Klimawandel begünstigt. Deswegen habe ich mich nie ganz damit identifizieren können, weil es sehr brav ist: «Wir sind Schüler:innen und wir machen nichts Böses. Wir wollen sicher kein Problem mit der Polizei oder dem Staat bekommen».
Glaubst du, dass Protest weh tun muss?
Protest muss so laut und aggressiv sein, dass es irgendein Impact hat, also irgendwo etwas auslöst. Es muss so eine Wucht haben, dass jede:r nach der Demo nach Hause geht und denkt: «Wow, hey, da ist wirklich ein Potenzial da!» Aber es darf halt nicht die Aggressionsgrenze überschreiten, so dass man sagen kann, «Schau, das sind wieder die Randalierer, die Linken, die wieder alles kaputt machen». Dann wird nur berichtet, dass wieder junge Leute Radau gemacht und Strassen blockiert haben.
Es ist wirklich ein schmaler Grat zwischen einer bestimmten Aggressivität und Kraft, ohne sich selbst damit ein Grab zu schaufeln. Das ist eine sehr schwierige Diskussion, die immer schnell unterbunden wurde im Gespräch mit dem OK. Sie haben halt Angst, dass sie das, was sie aufgebaut haben, verlieren könnten. Aber man muss sich halt fragen, was man im Endeffekt mit einer Demo sagen will.
In der Schweiz sind wir vielleicht noch zu privilegiert, zu wenig bedroht.
Hast du das Gefühl, wenn eine Demo lauter ist, dann ist sie stärker?
Ja, aber es ist immer die Frage bei einem Protest, was effektiv etwas bringt. Macht es den Mächtigen irgendwie Angst? Juckt es die Regierung wenigstens ein bisschen? Im Endeffekt ist es für eine Demo wichtig, wie breit die Öffentlichkeit ist, die du damit erreichst. Wenn du lauter bist und nicht nur sanft durch die Strassen streifst, dann sind es vielleicht mehr Medien, die darüber berichten, vielleicht sind mehr Leute am Strassenrand, die plötzlich realisieren, die meinen es ja wirklich ernst, da muss ja wirklich etwas falsch laufen. Aber das ist eine ewige Diskussion, was eine Demo bringt.
Denkst du, die Bewegung Extinction Rebellion verliert an Glaubhaftigkeit, weil die Proteste zu radikal sind?
Genau, dann sind es nicht mehr die Demonstrant:innen mit ernsthaften Anliegen, sondern nur noch eine Übertreibung. Aber Klimawandel ist wirklich ein ernsthaftes und dringliches Thema. Es muss jetzt etwas passieren, nur spüren wir hier in der Schweiz keine direkte Bedrohung. Anders als in Hongkong zum Beispiel, wo Menschen auf die Strasse gehen, weil ihre Menschenrechte von der chinesischen Regierung missachtet werden. Sie haben Angst und sind bereit, alles zu tun.
Bei uns ist es etwas anders: Zum einen gehen die Jungen auf die Strasse, weil es irgendwie ein Trend ist, und zum anderen, weil es, wie auch die Medien immer sagen, ein super Grund ist, um nicht in die Schule zu gehen. Es gibt aber viele Motivationen. Eine Demo schafft einen Ort, an dem du dich mit anderen Personen austauschen kannst. Für alle jungen Menschen, also vor allem auch für Jugendliche im Alter von 14 oder 15 Jahren, ist eine Demo viel wertvoller als jede Schulstunde, bei der das Thema Klimawandel behandelt wird.
An einer Demo hörst du die Parolen, liest die Transpis, siehst neben dir Leute, die es ernst meinen und mit dem Megafon Parolen schreien. Und das ist unglaublich wertvoll für das Behandeln des Themas. Das Ziel einer Demo ist schon erreicht, wenn innerhalb der Leute, die demonstrieren, etwas passiert. Das war für mich auch total hilfreich, um mich mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen.
Kannst du das, was mit dir passiert ist, noch ein bisschen ausführen?
Ich habe eigentlich erst seit diesen Demos realisiert, dass es Menschen gibt, die effektiv vom Klimawandel bedroht sind. Ich habe auch vor, während und nach den Demos viel mehr darüber geredet. Es haben sich wirklich schöne Momente ergeben, in denen ich mit Personen, die ich vorher nicht oder nicht gut gekannt habe, geredet habe. Zum Beispiel sind wir einmal zu zehnt nach einer Demo zu mir nach Hause, haben im Radio die SRF-Umfrage über die Demo gehört und haben darüber diskutiert.
Die Demo ist ein perfekter Ort dafür. Es gibt selten ähnliche Gefässe, in denen so viele Leute aufeinandertreffen, die das gleiche Ziel haben oder den gleichen Ansatz verfolgen. Das Bewusstsein stärken und darüber reden, das ist gut möglich an einer Demo. Und spüren, dass du zusammen eine Stärke hast. Es sind so viele Leute, die mit dir schreien, das ist auch irgendwie berührend. Es gibt einem Hoffnung, wenn du merkst, dass du nicht der einzige bist, der sich diese Gedanken macht.
Ich erlebe das ähnlich. Für mich ist das Gemeinschaftsmoment zentral bei Demos. Ob ein Protest schlussendlich politische Auswirkungen hat, ist zunächst nicht wichtig. Aber es gibt ja auch Proteste, die effektiv politisch wirksam sind, beispielsweise die Gilets jaunes, auch wenn sie nicht eine einheitliche Forderung haben, sondern verschiedene.
Stimmt. Aber die Gilets jaunes hatten als erste Forderung, die Benzinsteuer nicht zu erhöhen. Da lagen soziale Fragen zugrunde und es waren existenziellere Bedrohungen vorhanden. Das bringt sie dazu, viel radikaler auf die Strasse zu gehen. Wir sind vielleicht hier noch zu privilegiert, zu wenig bedroht.
Ich habe mit Freunden zusammen, abgekoppelt von den offiziellen Klimademos, eine Demo organisiert. Wir haben sie nicht bewilligen lassen und gingen direkt zur Syngenta, um ein Zeichen zu setzen und einen internationalen Akteur anzuprangern. Die Klimademos wollten vor allem die Regierung auf sie aufmerksam machen, aber die Regierung hat ja Interesse daran, dass Syngenta oder Novartis ihren Standort hier haben. Wir wollten einen anderen Weg aufzeigen. Wir haben uns dann wöchentlich getroffen und begonnen, einen Konsens auszuarbeiten und über unsere Message nach Aussen diskutiert.
Was ist deine Einschätzung, warum die offiziellen Fridays for Future-Demos global so an Bedeutung gewonnen haben?
Die Vernetzung ist ein wesentlicher Punkt. Ich weiss nicht, ob es das jemals schon gegeben hat, dass sich junge Menschen so zusammenschliessen konnten. Wahrscheinlich ist das in dieser Form erst durch die digitalen Medien möglich.
Welche Rolle spielt dabei Greta Thunberg?
Sie ist auf jeden Fall wichtig, sie hat die Schulstreik-Demos ins Leben gerufen und so einen Anstoss gegeben für alle Proteste, auch die Demos an den Samstagen. Sie hat auch angeregt, dass es unter den Schüler:innen eine Diskussion gibt und dass es um unsere Zukunft geht. Sie verkörpert den Inhalt, der eigentlich als internaler Konsens angesehen werden kann. Alle Demos beziehen sich schlussendlich auf sie.
Das heisst auch, es ist schon ein bisschen gesetzt, was die Demos sagen wollen. Es sind ihre Worte, die bei uns durch die Strassen getragen werden. Sie äussert sich ja auch weiterhin, das wird auch aufgegriffen. Wenn jetzt alle auf ihre eigene Art ein bisschen Klimaproteste machen würden, dann gäbe es kaum eine solche Zusammenkunft. Sie ist ein Stück weit die Verfassung. Und das Heldentum spielt eine Rolle: Eine junge Frau, die sich für dieses wichtige Thema einsetzt.
Also bietet sie als Person Identifikationsfläche?
Genau. Sie ist das perfekte Idol. Sie ist jung, das ist für die Thematik wichtig, sie ist eine Frau, das ist allgemein wichtig, weil es immer vor allem männliche Helden und Anführer gab. Und sie bringt es halt krass auf den Punkt. Sie wird ja immer kritisiert wegen ihres Autismus. Aber der führt bestimmt auch dazu, dass sie sich so intensiv damit befasst und so pointiert argumentieren kann. Auch dass sie so eine starke Überzeugung hat und sich viel Wissen über Zusammenhänge angeeignet hat, auch in Zahlen, könnte damit zusammenhängen.
Die Medien versuchen sie zu schwächen, indem sie meinen, dass sie ja behindert sei und ihre Meinung daher nicht relevant, dass sie kein rational denkender Mensch sei. Aber ich finde, es ist nicht erwähnenswert. Ich würde eher noch mehr Wert auf ihre Worte legen, weil sie eine dermassen starke Überzeugung und Interesse für das Thema hat.
Heldentum spielt bei Greta Thunberg natürlich eine Rolle: Eine junge Frau, die sich für dieses wichtige Thema einsetzt.
Wie war die Haltung eurer Schule? Habt ihr wirklich gestreikt?
Wir haben an jedem von diesen Freitagen gestreikt, ja. Dass die Demos während der Schulzeit stattgefunden haben, war eine super Idee, da alle Schüler dann Zeit haben. Das Problem war, dass bestimmte Lehrer das nicht unterstützt haben. Und unsere Schulleitung hat gesagt, jede:r, der an der Demo teilnimmt, erhält ein Kontingent dafür. Das heisst, im schlimmsten Fall musstest du nachsitzen, weil du an der Demo teilgenommen hast und dein Kontingent an Fehlstunden aufgebraucht wurde.
Sind auch Personen in der Schule geblieben?
Ja, es sind auch Personen in der Schule geblieben. Es gab auch Lehrer:innen, die Prüfungen auf diese Zeit gelegt haben oder klar geäussert haben, dass sie die Demoteilnehmenden als abwesend vermerken werden. Die Lehrer standen aber auch unter Druck. Man sollte sich nicht über die Lehrer beklagen, sie mussten ja auch nur Weisungen ausführen.
Du hast in deiner Rede auch auf die Verantwortung einzelner als Konsument oder Konsumentin hingedeutet. Kannst du das etwas ausführen?
Viele Leute aus meiner Klasse zum Beispiel haben für sich keinen Grund ausmachen können, an die Demos zu gehen. Die haben es vielleicht als zu uncool empfunden, sich fürs Klima zu interessieren, oder gesagt, dass es sowieso nichts bringe, fürs Klima zu demonstrieren. Es gab auch heftige Diskussionen im Klassenchat, wo Leute geschrieben haben, dass es doch lächerlich ist, an der Demo teilzunehmen, aber mit dem Flugzeug in die Ferien zu reisen oder viele Wasserressourcen zu verbrauchen oder neue Kleidung bei Klimasünder-Geschäften zu kaufen.
Es wird also oft mit der Schuldfrage politisiert?
Schon. Das konnte ich nie wirklich verstehen. Ich will das, was Einzelne in ihrem Alltag machen, davon trennen, ob jemand an eine Demo geht. Wie du dein Leben lebst, ist deine eigene Sache, das musst du mit dir selbst ausmachen. Diese Schuldzuweisungen waren auch Grund für Personen, nicht an Demos teilzunehmen. Die dachten, sie gehörten nicht dazu, weil sie in den Sommerferien immer fliegen.
Diese Personen sind trotzdem eine Bereicherung für die Demos, egal, wie ihr Konsumverhalten ist. Vielleicht würde die Demo sie auch so bereichern, dass es das Bewusstsein stärkt und vielleicht sogar verändert oder das Handeln beeinflussen kann. Viele Leute dachten, dass sie gar nicht befugt seien, an den Demos teilzunehmen, weil das Verhalten kontraproduktiv sei. Aber das sehe ich gar nicht so.
Weil an der Demo vor allem politische Forderungen gestellt werden?
Ja genau. Natürlich gibt es Widersprüche, wenn man das eigene Konsumverhalten und die Forderungen an einer Klimademo gegeneinander aufwiegt. Aber die meisten Co2-Ausstösse sind immer noch von grossen Konzernen verursacht und die Regierungen lassen es zu. Es kann genug kritisiert werden, ohne sich selbst zu kritisieren. Ich habe erst effektiv angefangen, mein Handeln zu hinterfragen, als ich an die Demos ging, dass ich darauf geachtet habe, was ich esse oder wie lange ich dusche, dass ich auch auf mein Umfeld und auf meine Familie zugegangen bin.
Aber das ist eine ewige Debatte, wie man sein darf, um an einer Demo teilzunehmen zu dürfen. Auch für die rechten Medien sind das natürlich Kritikpunkte. Beispielsweise hatten wir bei der kleinen, unbewilligten Klimademo, die wir organisiert hatten, einen Generator dabei, um richtig laut auffahren zu können. Das war aber ein Benzin-Generator. Und das wurde dann in der Zeitung kritisiert, wie widersprüchlich denn eine Klimademo sei, die mit Benzin-Generator kam. Aber es geht ja um etwas viel Grösseres und nicht darum, dass Personen Benzin-Generatoren brauchen.
Es gibt ja auch den Einwand, dass die Forderungen der Klimaproteste politisch nicht umsetzbar seien.
Ja, manche sagen das. Man könnte aber auch sagen, man will es nicht umsetzen.
Das Interview führte Nora Locher.