
Mit Gegenständen chatten: Fünf von 12'000 Dingen geben Auskunft
Isabel Koellreuter
«Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich: Ich bin schon längst ausgebacken», rief das Brot dem Mädchen im Grimm-Märchen «Frau Holle» zu. Mit einem grossen Schieber holte das Mädchen das ganze Brot flugs aus dem Ofen.
Dinge, die sprechen können, gibt es schon seit geraumer Zeit nicht mehr nur in Märchen. Sie begegnen uns auch im Alltag. So reden die Anzeigetafeln an Tramhaltstellen auf Wunsch mit uns. Noch redseliger sind Puppen oder etwa Bücher in Kinderzimmern. Dass Dinge im Museum jedoch mit Besucher:innen chatten, ist ein äusserst modernes Phänomen.
Vom Sammeln aus der Perspektive der Dinge
In der Ausstellung «Zwölftausend Dinge. Anfänge der Sammlung Europa» im Museum der Kulturen Basel lässt sich dies mit fünf Ausstellungsobjekten tun. Wer sich zum Beispiel einer auf den ersten Blick etwas schmuddelig aussehenden Decke aus dem Lötschental nähert, muss sich höflich verhalten. Spricht der Besucher oder die Besucherin etwa von «Hudel», wendet sich die Decke, die von sich im Plural spricht, sogleich vornehm ab: «Es zwingt dich niemand, dich mit uns zu unterhalten». Fragt man allerdings nach, wie sie denn entstanden sei, werden die vielen farbigen, in sorgfältiger Handarbeit zusammengesetzten Wollstoffdreieckchen durchaus plauderig. Sie erzählen vom Interesse der frühen Volkskundler:innen an den Fasnachtsbräuchen im Lötschental, von wo die Decke herkommt. Insbesondere die Masken, die sie in ihrer «dämonischen Wildheit» unübertroffen fanden, vermochten Eduard Hoffmann-Krayer und seine Mitstreiter zu begeistern. Sie fingen an, diese zu sammeln. In diesem Zusammenhang kam denn auch die Decke aus Blatten ins Museum, wo sie während Jahren als Schürze eines Kostüms Verwendung fand. Ob sie vielleicht zuvor Wandbehang oder Bettüberwurf war, weiss sie nicht mehr.

Der Erste Weltkrieg bereichert Basels Europa-Sammlung
An was sie sich – wie auch andere Ausstellungsgegenstände – allerdings gut erinnert, ist die Zeit des Ersten Weltkriegs, an Knappheit und Not. So erzählt auch ein reich besticktes Handtuch aus dem Engadin von Geldsorgen; und wie sich aus der Sammelfreude der städtischen Museumsleute und der Not der ländlichen Bevölkerung ein reger Handel entwickelte. Um den Preis eines sogenannten Engadiner Paradehandtuchs feilschten die Parteien jedoch. Hoffmann-Krayer «dachte wohl, bei meiner Schöpfung sei es jemandem auf halben Weg verleidet mit Spitzen», empört sich das Handtuch nach mehr als 125 Jahren noch immer. Spätestens jetzt schaut der Besucher genauer hin: Tatsächlich, eine Seite des Tuchs ist weit kunstvoller gestaltet als die andere. Ist es der Kunsthandwerkerin damals tatsächlich verleidet, Spitze um das ganze Tuch zu applizieren? «Sie haben, wie auch der Professor, keine Ahnung von einem Paradehandtuch», berichtigt die alte Textilie. Ihre Erläuterungen versetzen uns in Engadiner Stuben um die Wende zum 20. Jahrhundert.

Kulturwissenschaft trifft auf Literatur
Das Plaudern mit den Dingen führt einen so spielerisch in Entstehungskontexte sowohl von Objekten als auch von Sammlungen. Weit gereist ist etwa der bemalte Schädel des 1865 verstorbenen österreichischen Bauern Peter Neureiter. Aus dem alpinen Tennengau kam er zunächst ins Berliner Museum für Deutsche Volkskunde. Hier wurde er neben anderen ebenfalls bemalten Schädeln zur «Dublette», bevor er im Tausch gegen ein Kerbholz aus der Schweiz in der Basler Sammlung landete. Während der Schädel mit dem gemalten Blumenkränzchen etwas verschlafen, aber mit Humor über seinen Weg nach Basel nachdenkt, ist die Decke etwas schnell eingeschnappt. Sie fürchtet sich davor, nicht in ihrer vollen Kunstfertigkeit gesehen zu werden. Die kommunizierenden Dinge erhalten einen je eigenen Charakter. Einige wachsen einem ans Herz, mit anderen wiederum möchte man lieber nicht befreundet sein.
Wer sich nun denkt, das also sei es, was KI möglich macht, ist allerdings auf der falschen Spur. Die Geschichten der Dinge sorgsam aufgearbeitet hat die Kulturwissenschaftlerin Tabea Buri. Den Objekten eine Bühne bereitet hat Ausstellungskuratorin Florence Roth. Und die Schriftstellerin Mariann Bühler hat den Dingen einen je eigenen Charakter zugedacht, ihnen eine Stimme verliehen und sie mit uns ins Gespräch gebracht. Für ihren ersten Roman «Verschiebung im Gestein» wurde sie übrigens im letzten Herbst für den Schweizer Buchpreis 2024 nominiert.
Mit Schädel, Decke und Handtuch chatten lässt es sich im Rahmen der Ausstellung «Zwölftausend Dinge. Anfänge der Sammlung Europa» im Museum der Kulturen Basel. Die Ausstellung dauert noch bis zum 27. April 2025.